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Chemnitz 2025: Eine Industriestadt zeigt ihr kulturelles Potential.

Hurra, es ist KuHa! Mit einem gran­dio­sen Ope­ning hat Chem­nitz den Start der euro­päi­schen Kul­tur­haupt­stadt 2025 zele­briert. Zahl­rei­che Pro­gramm­punk­te luden in der Innen­stadt zum kol­lek­ti­ven Feiern ein. Höhe­punkt war eine far­ben­fro­he Büh­nen­show mit klarer Bot­schaft am Karl-Marx-Monu­ment. Ich habe mich unter das viel­fäl­ti­ge Par­ty­volk gemischt. Einige Ein­drü­cke eines geschichts­träch­ti­gen Tages.

Von wegen schläfriges Chemnitz

Es ist ein weit ver­brei­te­tes Kli­schee, dass in der dritt­größ­ten säch­si­schen Stadt immer­zu tote Hose ist. Doch bereits seit etli­chen Jahren laden Kunst- und Kul­tur­ein­rich­tun­gen, aber auch öffent­li­che und pri­va­te Insti­tu­tio­nen in das Stadt­zen­trum ein, um das Leben zu feiern. So kam im Jahr 2017 die dama­li­ge Ober­bür­ger­meis­te­rin Bar­ba­ra Ludwig auf die Idee, die Indus­trie­stadt für den Titel „Kul­tur­haupt­stadt Euro­pas 2025“ zu bewer­ben. Dafür ern­te­te sie viele kri­ti­sche Kom­men­ta­re, aber erhielt auch aller­hand Unter­stüt­zung. Unter dem Motto „C the Unseen“ (zu deutsch: Sieh das unsicht­ba­re) wurden in drei Jahren Kul­tur­pro­jek­te und damit ein Kon­zept ent­wi­ckelt. Besu­che der EU-Jury und Vor­stel­lun­gen des „Bid Books“ folgten.

Am 28. Okto­ber 2020 sollte die Ent­schei­dung zuguns­ten der Stadt Chem­nitz fallen. Ein Licht­blick in der dama­li­gen Corona-Zeit, die bei den Chemnitzer:innen und den Men­schen der Region für Begeis­te­rung sorgte. Die Pla­nun­g­ar­bei­ten star­te­ten. Inner­halb von vier Jahren stell­te das Team der Kul­tur­haupt­stadt Euro­pas Chem­nitz 2025 gGmbH ein viel­fäl­ti­ges Pro­gramm auf die Beine. Mehr als 1.000 Ver­an­stal­tun­gen in 223 Pro­jek­ten aus Kunst und Kultur laden ein diese Stadt mit ihren nega­ti­ven Vor­be­hal­ten mit einem offe­nen Herzen neu zu entdecken.

Ein vielseitiges Bühnenprogramm von Jungen und für ganz Junge

Es ist Sams­tag, der 18. Januar 2025. Das Ther­mo­me­ter zeigt acht Grad Cel­si­us. Ein strah­lend blauer Himmel und die wär­men­de Sonne locken bereits Tau­sen­de Men­schen in die Innen­stadt von Chem­nitz. Denn heute star­tet offi­zi­ell das Kul­tur­haupt­stadt­jahr. Auf drei Bühnen um das Rat­haus prä­sen­tie­ren sich lokale, aber auch über­re­gio­na­le Künstler:innen. An diesem Nach­mit­tag eröff­net am Düs­sel­dor­fer Platz die Combo Rock’n’Strings das Pro­gramm. Junge Schüler:innen der Städ­ti­schen Musik­schu­le Chem­nitz geben ein Medley bekann­ter Rock- und Pop­songs zum Besten. In den Gesich­tern ist Kon­zen­tra­ti­on, aber auch Freude sicht­bar. Die Zuhö­ren­den quit­tie­ren mit Applaus.

Eine etwas här­te­re Gang­art legt die Band Hea­vy­sau­rus auf dem Neu­markt an den Tag. Es kommt nicht von unge­fähr, dass der Platz von Fami­li­en mit klei­nen Kin­dern gesäumt ist. Die fünf Musiker:innen unter dem Dino-Kostüm ver­ste­hen sich als kind­ge­rech­ter Ein­stieg in die Welt des Hard Rock und Heavy Metal. Songs wie „Kau­gum­mi ist mega“ und „Dinos woll’n euch tanzen sehn“ trei­ben jedem Kind ein Lachen ins Gesicht. In „Pom­mes­ga­bel“ lernen die Kleins­ten die typi­sche Hand­ges­te. Ein großer Spaß. Aller­dings auch mit einer Menge nicht unbe­dingt Kin­des­ohr-gerech­tem Lärm.

Kulinarische Reise durch die „Küche der Nationen“

Auch Essen ist Kultur. Des­halb hält an diesem Tag der Rosen­hof eine viel­fäl­ti­ge Schlem­mer­mei­le parat. Mehr als ein Dut­zend Stände laden zum Pro­bie­ren ein. Fried­lich feiert die „Küche der Natio­nen“ mit­ein­an­der diesen his­to­ri­schen Tag. Auf einem klei­nen Podest finden Inter­views und Dis­kus­sio­nen über Chem­nitz und die geleb­ten Kul­tu­ren statt. Schön, dass die Kul­tur­haupt­stadt Euro­pas 2025 alle Ein­woh­nen­den ein­be­zieht und für einen Dis­kurs zwi­schen den Natio­na­li­tä­ten sorgt.

Auch musi­ka­lisch geht die Reise auf dem Neu­markt weiter. Aus Dres­den fand das Gran Orques­ta de Tango Caram­bo­la­ge den Weg nach Chem­nitz. Das Orches­ter hat sich dem argen­ti­ni­schen Tango der 1940er Jahre ver­schrie­ben und begeis­tert mit seinem klas­si­schen Instru­men­ten. Allen voran die zehn tem­pe­ra­ment­vol­len Ban­do­ne­ons sorgen für einen unver­wech­sel­ba­ren Klang. Das in Chem­nitz von Carl Fried­rich Uhlig erfun­de­ne Instru­ment wurde durch Immigrant:innen nach Süd­ame­ri­ka gebracht und dort zum Volks­in­stru­ment. Die Kul­tur­re­gi­on Chem­nitz strahlt eben in alle Welt.

Chemnitzer Gegensätze mit Me&T und Baumarkt

Die Pop-Band Me&T ist in ihrer Hei­mat­stadt Chem­nitz längst kein Geheim­tipp mehr. Umso schö­ner, dass die Künst­ler um das Paar Tamara und Tris­tan Lodge zum Start des Kul­tur­haupt­stadt­jah­res auf der Bühne stehen. Melo­di­sche Piano-Klänge wech­seln sich mit ener­gie­ge­la­de­nen Pas­sa­gen ab. Im Zen­trum steht Tama­ras engels­kla­re Stimme. Ein abso­lu­ter Hör­ge­nuss. Und zumin­dest im natio­na­len Musik­ge­schäft abso­lut unterschätzt.

Etwas unkon­ven­tio­nel­ler geht das Duo Bau­markt auf der Bühne an der Jako­bi­kir­che zu Werke. Die Syn­thie-Punk-Band ist ebenso nicht mehr aus der Chem­nitz Musik­land­schaft weg­zu­den­ken. In der Region auf­ge­wach­sen, haben sich Jenny Kretz­schmar und Flo­ri­an Illing bereits vor zehn Jahren in der Kul­tur­haupt­stadt 2025 für dieses Pro­jekt gefun­den. Rou­ti­niert spulen sie ihr Spon­tan­pro­gramm ab. Selbst ein ein­fal­len­der Key­board-Stän­der bringt die beiden nicht aus der Ruhe. Live ist eben live. Wäh­rend der blauen Stunde wagt Jenny Kretz­schmar alias „Jens Aus­der­wä­sche“ den ersten Stage­di­ve des Tages. Mit Erfolg. Natür­lich darf auch der Song „Chem­nitz Stadt“ nicht fehlen.

Zug um Zug zum großen Opening

Als die letz­ten Töne der Ber­li­ner Künst­le­rin Amadea Acker­mann, besser bekannt als Dilla, auf dem Chem­nit­zer Neu­markt ver­klin­gen, ist die Ziel­ge­ra­de hin zum großen Ope­ning am Karl-Marx-Monu­ment berei­tet. Unter dem Motto „Mit­zie­hen“ ver­wan­delt sich die Straße der Natio­nen zwi­schen Zen­tral­hal­te­stel­le und Brü­cken­stra­ße in eine Wett­kampf­stre­cke. Von einer laut­star­ken Musik­grup­pe ange­führt, ziehen in klei­nen Abschnit­ten bis zu 15-köp­fi­ge Teams die 20 Tonnen schwe­re Eisen­bahn „Hegel“. An der Bahn­steig­kan­te feuern Hun­der­te die ins­ge­samt 120 Teil­neh­men­den an. Zug um Zug.

Die Eupho­rie kommt nicht von unge­fähr. Chem­nitz ist die Wiege des säch­si­schen Eisen­bahn­baus. Der Pio­nier Richard Hart­mann stell­te in seiner 1844 errich­te­ten Säch­si­schen Maschi­nen­fa­brik eine der ersten deut­schen Loko­mo­ti­ven her. Sie zeigte sich als kon­kur­renz­fä­hig gegen­über der eng­li­schen Pen­dants und so mau­ser­te sich die Eisen­bah­nen zum Export­schla­ger. Da der Indus­trie­be­trieb nie einen Gleis­an­schluss erhielt, muss­ten Pfer­de­fuhr­wer­ke die schwe­ren Loks zum Bahn­hof ziehen. Für die Ver­ant­wor­li­chen der Anlass für diesen Wett­streit, der Maker- und Team­geist vereint.

Ein Höhepunkt mit Abstrichen

Pünkt­lich zum Start des großen Ope­nings am Karl-Marx-Monu­ment trifft die Dampf­lok „Hegel“ an der Brü­cken­stra­ße ein. Mitt­ler­wei­le ist die breite Straße sehr gut gefüllt. Etwa 20.000 Men­schen sind es zu Beginn der Show, als Bun­des­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er die opu­len­te Bühne betritt. Der Nischel, eines der Wahr­zei­chen der Stadt, ist in eine große Kup­pel­büh­ne ein­ge­baut. Far­ben­fro­he Schein­wer­fer setzen Mit­wir­ken­de und das Denk­mal selbst in Szene. So etwas hat es in Chem­nitz noch nicht gege­ben. Eben­so­we­nig wie das fol­gen­de von Theo Habicht kom­po­nier­te Blä­ser­ar­ran­ge­ment, das von den umlie­gen­den Hoch­haus­dä­chern erklingt. Laser spin­nen ein Netz über die Men­schen­men­ge. Gänsehaut!

Es folgen kurze Video­schnip­sel zum Thema „Wün­sche“. Dabei fällt auf: Die Kinder sind alles andere als divers. Anschlie­ßend betritt Paula Caro­li­na mit Band die Bühne. Das erste Mal lässt sich das Poten­ti­al des Licht­set­tings erah­nen. Die fein­strah­li­gen, schwen­ken­den LED-Köpfe begeis­tern. Zwi­schen den Umbau­pau­sen phi­lo­so­phiert die säch­si­sche Komi­ke­rin Anna Mateur über Chem­nitz und die Kultur. Das scheint nicht allen Gästen zu gefal­len, Unruhe kommt auf. Es folgen musi­ka­li­sche Bei­trä­ge des loka­len Ensem­ble Gran Orques­ta de Tango Caram­bo­la­ge, die mit dem argen­ti­ni­schen Ban­do­ne­on-Star Omar Massa musi­zie­ren, sowie von Dilla und Bosse. Der Ham­bur­ger setzt gemein­sam mit Paula Caro­li­na beim Song „Das Para­dies“ ein star­kes Zei­chen für Viel­falt und Toleranz.

Dazwi­schen laufen wei­te­re Video­bei­trä­ge zum Thema „Laut sagen“ und „Meckern“. Abschnitts­wei­se anre­gend, aber auch lustig und manch­mal ein­fach ober­fläch­lich. Etwas mehr der viel bespro­che­nen Viel­falt in Hin­sicht auf Alter und Her­kunft hätte dem Ganzen gut getan. Den Abschluss der Show bildet ein dahin plät­schern­des DJ-Set von Fritz Kalk­bren­ner. Ein Höhe­punkt sieht anders aus. Schade: Eine geplan­te Droh­nen­show, die weit über die Stadt­gren­zen sicht­bar sein sollte, wurde abge­sagt. Ein pri­va­ter Droh­nen­pi­lot machte dem kur­zer­hand einen Strich durch die Rech­nung. Das anwe­sen­de Bun­des­kri­mi­nal­amt, wel­ches zum Schutz des Bun­des­prä­si­den­ten immer vor Ort ist, unter­sag­te den Pro­gramm­punkt kurz­fris­tig. Mit dem Rave auf dem Neu­markt findet der Tag bei Tem­pe­ra­tu­ren knapp über Null Grad Cel­si­us dann doch einen audio­vi­su­el­len Höhepunkt.

Fazit zum Opening: Chemnitz kann Kulturhauptstadt

Der Start­schuss ist gefal­len: Elf Monate voller kul­tu­rel­ler Attrak­tio­nen liegen vor Chem­nitz. Der Tag hat nicht nur gezeigt, dass die säch­si­sche Stadt kul­tu­rell so eini­ges zu bieten hat. Auch die Ein­woh­nen­den und Gäste aus Nah und Fern sind in voller Vor­freu­de für dieses ereig­nis­rei­che Jahr. Die Mess­lat­te ist nach dem Eröff­nungs­wo­chen­en­de hoch gelegt. Bleibt abzu­war­ten, ob die zahl­rei­chen Mit­wir­ken­den die hohen Erwar­tun­gen erfül­len können. Ich freue mich jeden­falls auf viel Posi­ti­ves in diesen nega­ti­ven Zeiten.


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