In der bayrischen Landeshauptstadt München findet wieder einmal die IAA Mobility statt. Doch von der Transformation hin zur Mobilitätsmesse ist wenig übrig geblieben. Das Automobil bestimmt einmal mehr das Treiben im Open Space als auch die Vorträge der Fachkonferenz. Warum wird der Individualverkehr hierzulande weiterhin vergöttert? Ist es nicht Zeit für neue Mobilitätskonzepte? Ein Essay über meinen gewandelten Blick auf das private Auto.
Über frühe Autoliebe und erste Bedenken
Rückblende. Ich sitze im Alter von zwei oder drei Jahren auf dem Sofa im heimischen Wohnzimmer. Auf dem Schoß liegt eine Autozeitung. Ich durchblättere das Magazin. Wie aus der Pistole geschossen nenne ich Hersteller und Modellname des abgelichteten Fahrzeugs. Meine Familie amüsiert sich. Auf alten VHS-Kassetten lässt sich noch heute meine frühe Autoliebe erkennen.

Später im Jugendalter investiere ich öfters 1,20 Euro meines knappen Taschengelds in bunte Autozeitschriften. Nicht weil ich auf der Suche nach einem eigenen künftigen Pkw bin. Sondern weil mich Design und Technik faszinieren. Ich würde sogar soweit gehen, dass mich der technologische Fortschritt begeistert. Zu dem Zeitpunkt ist für mich als Landkind der Individualverkehr nicht diskutierbar.
Auch die Jahre meines Maschinenbau-Studiums in Chemnitz nähren mein Interesse an der Automobilen Technik. Die ersten Hybridmodelle sind auch hierzulande beliebt. Doch nun rückt immer öfter das Wort „CO2-Ausstoß“ in den Fokus. Langsam realisiere ich, dass der Kraftstoffverbrauch nicht nur ein wichtiger Faktor für den Geldbeutel, sondern auch für die nicht immer sichtbare Belastung der Umwelt ist.
Als ich 2018 meinen ersten Vollzeitjob beginne, steht außer Debatte, dass ich mir ein erstes eigenes Auto kaufen werde. Der Freiheitsgedanke hat sich auch bei mir tief im Gehirn eingenistet. Doch der Fokus liegt schon jetzt nicht auf PS und Protz, sondern auf Ressourcen- und Kosteneffizienz. Leider ist die Elektromobilität zu diesem Zeitpunkt zu teuer oder mit großen Kompromissen behaftet. So fällt die Wahl auf einen kompakten Benziner.
Das Auto als Familienmitglied?
Mit den Jahren lerne auch ich meinen treuen Begleiter lernen und „lieben“. Spontane Ausflüge und Reisen sind mit Leonie, wie ich meinen kleinen Seat Leon liebevoll nenne, möglich. Die laufenden Kosten sind gering. Zwar nutze ich in der Stadt oft Bus und Tram, allerdings kommt überregional meist das Auto zum Einsatz. Auch deshalb, weil die Ticketpreise der Deutschen Bahn oft deutlich höher als die des Benzinpreises sind. Die Corona-Pandemie erweitert die Liste um den Sicherheitsaspekt.

Das sollte sich ändern, als im Sommer 2022 die Corona-Pandemie nahezu überstanden war und das 9‑Euro-Ticket Einzug hält. Mit einem Schlag gewinnt der ÖPNV für mich an Bedeutung. Das Auto kommt nur noch selten zum Einsatz. Die übervollen Züge zeigen mir, dass sich mit dem Reduzieren der Ticketpreise und der flexiblen Nutzung eines monatlichen Fahrscheins viele Menschen auf die Schiene locken lassen.
In den drei Monaten wird mir deutlich, dass das Auto oft zu Unrecht emotionalisiert wird. Stimmen die Kosten, kann es auch gern länger in der Garage oder auf dem Parkplatz stehen. Ich frage mich: Warum also wird der ÖPNV nicht mehr gefördert? Und warum sind die Städte automobil- aber alles andere als fahrradfreundlich konzipiert? Immerhin emittieren Verbrennermotoren gut und gerne 200 Gramm, also zwei Tafeln Schokolade, klimaschädliches Kohlenstoffdioxid pro Kilometer in die Luft.
Es ist Zeit für neue, öffentlich geförderte Mobilitätskonzepte
Immerhin gewinnt die Elektromobilität zunehmend an Fahrt. Und das ist wortwörtlich zu nehmen, denn Reichweiten und Zweckmäßigkeit werden zwar immer besser. Allerdings ist die Gewinnung der wichtigen Metalle alles andere als umweltfreundlich, wie eine frontal-Reportage zeigt. Und auch die E‑Autos lösen sich in den dicht bebauten Städten nicht in Luft auf. Flächen sind rar, auch zum Parken. Die Automobile, in denen zum Großteil kaum mehr als eine Person sitzt, stehen etwa 23 Stunden des Tages. Es sind also mehr Steh- als Fahrzeuge. Währenddessen verlieren sie nicht nur an Wert, sondern vermodern und beginnen zu rosten.
Deshalb finde ich in Zeiten des Smartphones das Carsharing als wichtige Stütze der individuellen Mobilität. Das meint auch Autorin und Aktivistin Katja Diehl, deren Buch „Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt“ (Sponsored Link) ich nur jedem und jeder Autofahrenden, der/die sich nur ein bisschen selbst reflektieren will, nur ans Herz legen kann. Denn das Auto an sich sollte nicht verteufelt werden. Vielmehr gilt es, den privaten Besitz sowie die übermäßige Nutzung für kurze Strecken kritisch zu hinterfragen.

Auf der IAA Mobility in München ist von diesen Konzepten nichts zu sehen. Opulente Stände locken die Interessierten an. Probefahrten mit den neuen, zum Großteil elektrisch angetriebenen Modellen, sollen Lust auf eine Bestellung machen. Denn nur verkaufte Kraftfahrzeuge kurbeln den Absatz und damit die Wirtschaft an. Dabei schränken individuelle Freiheiten, wie etwa auch das nicht vorhandene Tempolimit, das Leben der Gesellschaft ein. Feinstaubpartikel – auch der Reifen – schädigen Lunge und Nervengewebe. Der Verkehr ist Stressfaktor Nummer 1. Und jeden Tag verlieren acht Menschen ihr Leben auf deutschen Straßen. Besonders eindrücklich ist für mich die überhöhte Emotionalisierung in der 90-minütigen ARD-Dokumentation „Kraftfahrzeug – Eine deutsche Liebe“.
Dank Deutschlandticket mit Bus und Bahn mobil
Eines dieser Werkzeuge uns Menschen in den ÖPNV zu locken, ist das Deutschlandticket. Denn durch das monatliche Abo fällt nicht nur der umständliche Kauf weg. Auch die zeitraubende Recherche zu Tarifgrenzen ist damit passé. Seit mehr als zwei Jahren nutze ich diese Möglichkeit unkompliziert zwischen und innerhalb Stadt und Land zu reisen. Mein Auto lasse ich deshalb immer öfter stehen.
Klar benötige ich für die ein oder anderen Strecke mehr Zeit. Natürlich ist es nicht so komfortabel wie mit dem eigenen Auto von Tür zu Tür zu fahren. Selbstredend setzt man sich auch mal niesenden und hustenden Mitmenschen aus. Dafür kann ich währenddessen arbeiten, lesen, mich konzentriert mit Freund:innen unterhalten oder einfach nur entspannen. Zudem schenkt mir jede Fahrt ein grünes Gewissen.
Das wünsche ich mir manchmal nicht nur von der Politik, sondern auch von den Herstellern. Das „Verbrenner-Aus“ ist eben keine Hürde, sondern eine Chance. Weg von klimaschädlichen, antiquierten Technologien. Weg von großen, unpraktischen SUV, die nicht nur dem Klima, sondern auch der Aufenthaltsqualität schaden. Denn wir alle haben Verantwortung für diesen Planeten, für unsere Mitmenschen und besonders für unsere Nachfahren. Wir können unsere Umgebung lebenswerter machen – wenn wir nur wollen.
Besitzt Du ein eigenes Auto? Welche Alternativen nutzt Du?
Teaserfoto: © IAA Mobility
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