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Gute Mine zur bösen Welt.

Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein Faible für die deutsche Sprache und kreative Songtexte habe. Eine meiner Lieblingskünstlerinnen ist aktuell die Berliner Singer-Songwriterin Mine. Bereits vor einigen Jahren auf dem Kosmonaut-Festival ist sie mir positiv aufgefallen, nun hat sie ihr nächstes Studio-Album „Hinüber“ veröffentlicht. Das strotzt nur so vor spannenden Elektro-Klängen und doppeldeutigen Texten, die in die Tiefe gehen.

Ernste Themen poetisch verpackt

Gute-Laune-Popsänger:innen gibt es hierzulande in Hülle und Fülle. Da freut es umso mehr, dass sich so manche:r Künstler:in traut auch gesellschaftskritische Themen anzusingen. Nach Balbina hat es mir in den letzten Jahren Jasmin Stocker unter dem Künstlernamen Mine besonders angetan. In ihrem neuen Album „Hinüber“* schafft sie es ihr eigenes, unverkennbares Klangbild zu erzeugen und mit sinnenhaften Texten zum Nachdenken anzuregen. Los geht es direkt mit dem Song, der dem Album den Namen gab: Hinüber. Darin bezieht sie sich auf die vergängliche Welt und ihre Probleme. ‚Das Meer ist aus Plastik. Der Hunger ist groß.‘ Einerseits sensibilisiert Mine uns Hörer:innen, andererseits hält sie uns Menschen den Spiegel vor. Schwere Drums und dramatisch klingende Cello- sowie Violinen-Akkorde unterstreichen die Intention der Künstlerin.

Musikalisch unbeschwerter, aber nicht weniger mahnend folgt „Bitte bleib“. Darin beleuchtet sie den beliebten Spruch „Bleib wie du bist“ kritisch. Denn Leben ist Entwicklung und Veränderung natürlich. Mine ermutigt dazu. Frische Stakkato-Akkorde vom synthetischen Xylophon vermitteln Lebensfreude. Gleichzeitig stellt sie einen persönlichen Bezug her: Angst vor Verlust bestimmt die Metaebene. Dieses Gefühl setzt sich in den folgenden Songs „KDMH“ und „Mein Herz“. Deutlich schwerfälliger bringt Mine ihre Gedanken zu Ohr. Genau das richtige für Momente des Liebeskummers.

Musikalisches Streitgespräch mit Dexter und Crack Ignaz

In „Audiot“ stimmt Mine gemeinsam mit den Rap-Kollegen Dexter und Crack Ignaz ein Streitgespräch zum Musikgeschmack an. Der ist so individuell wie wir Menschen und ‚tut niemandem weh‘. Und doch spaltet er Zusammentreffen mit Freund:innen. Mine tritt als Schlichterin auf: ‚Es ist schon okay‘. Von Jazz über Rap und Hip Hop hält der Track auch musikalisch so einige Genres bereit.

Es folgen mit den Songs „Eiscreme“ und „Lambadaimlimbo“ Musikstücke geprägt von sommerlicher Leichtigkeit und angenehmer Wohlfühlatmosphäre. Zweifelsohne ist das melodisch warme Liebeslied mit Eis-Vergleichen Anwärter für den Sommerhit 2021. Effektvolle Gitarrenriffs runden das Hörerlebnis ab. Mit „Elefant“ veranschaulicht Mine den metaphorischen ‚Elefanten im Raum‘ und thematisiert unausgesprochene Beziehungsprobleme. Die erfolgreichste Single-Auskopplung kommt mit einem funky Synthie daher. Und obwohl der Text durchaus ernst ist, laden Beat und Claps zum Tanzen ein. Ist das noch Pop?

Furioser Abschluss mit Gesellschaftskritik und kreativem Video

Zum Ende das grandiosen Albums schlägt Mine die philosophische Brücke zum Menschsein („Tier“) und der globalen Verantwortung („Unfall“). Die Tonart wechselt zu Moll und auch inhaltlich geht es ernster zu. Mine hinterfragt viereinhalb Minuten lang herkunftsbezogene Privilegien, Vermögensverteilungen und gesellschaftliche Spaltungen. ‚Die Welt ist ein Unfall‘. Besonders sehenswert ist das dazugehörige von Rap-Kollege Dissy konzipierte Video. Damit ist dieser Song für mich das größte Goldstück des aktuellen Albums. Das Beste kommt eben doch zum Schluss.

Schön, dass Mine nicht bleibt wie sie ist, sondern sich weiterentwickelt. Mit „Hinüber“* hat sie einen neuen Reifegrad erreicht. Die Texte werden tiefgründiger und regen durch ihre Mehrdeutigkeit zum Denken an. Mehrmaliges Hören ist also ein Muss. Melodisch schafft sie eine neue Bandbreite. „Hinüber“ ist eben nicht nur ein Zustand, sondern auch ein Blick über eine Durststrecke hinweg nach vorn auf eine bessere Zeit. Viel Spaß beim Hören!

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