Zum Inhalt springen

Im Geschwindigkeitsrausch beim Saloppe Seifenkistenrennen.

Wohl keine andere phy­si­ka­li­sche Größe eupho­ri­siert die Men­schen so sehr wie Geschwin­dig­keit. Dass es für den ulti­ma­ti­ven Adre­na­lin­kick keine kli­ma­schäd­li­chen und teuren Res­sour­cen benö­tigt, beweist all­jähr­lich das Sei­fen­kis­ten­ren­nen an der Salop­pe in Dres­den. Mit reiner Muskel- und Hang­ab­triebs­kraft geht es rasant hin­un­ter zu den Elb­wie­sen. Ich war in diesem Jahr mit der Kamera vor Ort und habe mich von der gran­dio­sen Stim­mung in den Bann ziehen lassen. Ein Exkurs in die rasan­te Welt der Seifenkisten.

Die Geschichte der Seifenkistenrennen beginnt im hessischen Oberursel

Anfang des 20. Jahr­hun­derts lösten Auto­mo­bil­ren­nen eine große Eupho­rie in der Bevöl­ke­rung aus. Auch bei Kin­dern. Des­halb fand 1904 im hes­si­schen Ober­ur­sel das erste „Kin­der­au­to­mo­bil­ren­nen“ der Welt statt. Dafür kamen hand­ge­fer­tig­te Holz­fahr­zeu­ge zum Ein­satz, die sich optisch an den iko­ni­schen Renn­wa­gen wie dem berühm­ten „Sil­ber­pfeil“ ori­en­tier­ten. Schnell wurde der Sport in Deutsch­land popu­lär und schwapp­te über den großen Teich nach Amerika.

Dort erfuhr auch eine Sei­fen­fa­brik von dem Trend, die im Jahr 1933 einen beson­de­ren Wer­be­gag initi­ier­te: Sie zeich­ne­te die Umris­se eines Kin­der­au­tos auf die Ver­pa­ckungs­kis­te. Der Begriff „Sei­fen­kis­te“ (engl. Soap Box) war gebo­ren. Ein Jahr später fand mit dem „Soap Box Derby“ in Dayton/Ohio das erste gleich­na­mi­ge Rennen statt. Mit Erfolg: Im benach­bar­ten Akron/Ohio wurden 1935 mit den „All Ame­ri­can Soap Box Derbys“ die inter­na­tio­na­len Welt­meis­ter­schaf­ten ins Leben geru­fen. Der­weil waren die Akti­vi­tä­ten in Deutsch­land wäh­rend der beiden Welt­krie­ge zum Erlie­gen gekom­men. Erst ame­ri­ka­ni­sche Besat­zungs­trup­pen weck­ten die Idee wieder zum Leben.

So kam es, dass im Jahr 1948 in der bay­ri­schen Lan­des­haupt­stadt Mün­chen die ersten Bun­des­wett­be­wer­be aus­ge­tra­gen wurden. Um „den Kin­dern wieder das Spie­len bei­zu­brin­gen“, so US-Ser­geant Ted Rohr. Die Szene pro­fes­sio­na­li­sier­te sich. Ein Jahr später nahmen in ganz Deutsch­land 15.000 Kinder an 500 Wett­kämp­fen teil. Die Gewin­ner kämpf­ten beim Bun­des­ent­scheid von der 220 Meter langen Rampe auf der Münch­ner The­re­si­en­wie­se um den begehr­ten Gewinn: eine 14-tägige Reise in die USA mit Teil­nah­me beim „All Ame­ri­can Soap Box Derby“. Auto­her­stel­ler wie Gene­ral Motors in den USA und Opel in Deutsch­land spon­ser­ten die Rennen. Bis 1957. Da fand die Koope­ra­ti­on mit den Rüs­sels­hei­mern und damit die pro­fes­sio­nel­len Wett­be­wer­be ein Ende.

An der Saloppe in Dresden steht Familienspaß an erster Stelle

Heute dienen die Hob­by­ren­nen vor allem dem Spaß und Erfin­der­geist. Denn in unzäh­li­gen Wett­be­wer­ben prä­sen­tie­ren Jung und Alt immer aus­ge­fal­le­ne­re Fahr­zeu­ge. So auch in Dres­den beim tra­di­tio­nel­len Salop­pe Sei­fen­kis­ten­ren­nen im Stadt­teil Neu­stadt. Von der Rampe an der Som­mer­wirt­schaft ober­halb des namens­ge­ben­den Was­ser­wer­kes stür­zen sich dut­zen­de Mutige die Kopf­stein­pflas­ter-Stre­cke hinab. Die 800 Meter lange Abfahrt zu den Elb­wie­sen ist gespickt mit Kurven, langen Gera­den und einer spe­zi­el­len Auf­ga­be: Am Boxen­stopp kurz vor dem Ziel sind kleine Säcke in ein defi­nier­tes Ziel (Corn­ho­le) zu werfen. Tref­fer werden mit Bonus­se­kun­den belohnt. Anschlie­ßend geht es in Schuss­fahrt durch den Zielbogen.

Oben am Start ist die Stim­mung aus­ge­las­sen. Kühle Geträn­ke und warme Mahl­zei­ten laden zum Ver­wei­len ein. Der Fokus liegt jedoch auf die Teil­neh­men­den und deren extra­va­gan­te Vehi­kel. Unter fre­ne­ti­schem Jubel stellt der Mode­ra­tor jedes ein­zel­ne Team vor. Vom tra­di­tio­nel­len Kett­car mit Glit­zer­gir­lan­de über die fah­ren­de Wasch­ma­schi­ne bis zum Mobi­len Büro sind zahl­rei­che viel­ver­spre­chen­de Vehi­kel dabei. Todes­mu­tig nehmen sie die hals­bre­che­ri­sche Abfahrt unter die Räder, schnei­den Haar­na­del­kur­ven, pas­sie­ren Eng­stel­len. Immer wieder bran­det unter den rund 6.000 Zuschau­en­den Applaus auf. Leider gewin­nen die Mann­schaf­ten eben­so­we­nig wie die „Addams Family on Tour“, die in einem fah­ren­den Sarg an den Start gehen.

Den Gesamt­sieg nach zwei Läufen und einem Berg­ren­nen mit Le-Mans-Start kann der detail­lier­te Nach­bau eines Dodge Monaco der legen­dä­ren Blues Brot­hers feiern. Für die beste Show werden das Wrest­ling­team „Lucha Libre Libera­to­res“ mit einem über­di­men­sio­na­len Tier­stall aus­ge­zeich­net. Den Titel für die besten New­co­mer ergat­tert das Juni­or­team vom „Bunten Hecht“, dessen Fahr­zeug nur wenige Wochen vor dem Event geklaut und pünkt­lich auf­ge­fun­den wurde. Doch bei all dem Ehr­geiz und Sie­ges­wil­len, geht es bei diesem und den vielen ande­ren Sei­fen­kis­ten­ren­nen doch vor allem um eines: die gene­ra­ti­ons­über­grei­fen­de Freude am gemein­sa­men Bas­teln, impro­vi­sier­ten Bauen und mus­kel­be­feu­er­ten Abfahr­ten. Und die wird in den zahl­rei­chen lachen­den Gesich­tern ersichtlich.


Entdecke mehr von Jonas’ Blog

Melde dich für ein Abon­ne­ment an, um die neu­es­ten Bei­trä­ge per E‑Mail zu erhalten.

2 Kommentare

  1. Was für tolle Bilder von einem augen­schein­lich groß­ar­ti­gem Event: vielen lieben Dank fürs Mitnehmen!

    LG, Eddy

Kommentar verfassen