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Graue Wolken über Bautzen.

Es gibt Städte, die von Rei­sen­den nur selten besucht werden. Städte, von denen es so einige nega­ti­ve Vor­ur­tei­le gibt. Städte, die eine unbe­que­me Ver­gan­gen­heit haben. Zu diesen dürfte zwei­fels­oh­ne das säch­si­sche Baut­zen zählen. Neben einer Viel­zahl von rechts­mo­ti­vier­ten Demons­tra­tio­nen ist die Klein­stadt im Osten des Frei­staats für seine ehe­ma­li­ge Haft­an­stalt bekannt. Poli­ti­sche Gegner:innen wurden sowohl wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs als auch in der DDR-Zeit inhaf­tiert und ideo­lo­gisch indok­tri­niert. Dem steht eine hüb­sche, kleine Alt­stadt mit Gassen und Plät­zen gegen­über. Einige Ein­drü­cke eines Tages zwi­schen man­nig­fal­ti­gem Mit­tel­al­ter­flair und erschre­cken­der Erinnerung.

Zwischen den Festungsmauern auf Entdeckungstour

Das kalte, stür­mi­sche Früh­jahr ist nicht die ange­nehms­te Zeit für aus­la­den­de Sight­see­ing-Touren. Doch gerade die gleich­mä­ßig schumm­ri­gen Licht­be­din­gun­gen sorgen für span­nen­de Bild­stim­mun­gen in mys­ti­scher Atmo­sphä­re. Beson­ders, wenn man sich in einer nahezu men­schen­lee­ren Stadt wie Baut­zen befin­det. Zum Wochen­en­de lässt sich der Tag herr­lich mit einem reich­hal­ti­gen Früh­stück in der Wein- und Espres­so­bar Goli­ath in der großen Brü­der­gas­se begin­nen. Die großen Teller sind nicht nur hoch­wer­tig bestückt, son­dern auch ange­nehm preis­wert. Zu zweit zahlt man inklu­si­ve Saft und Cap­puc­ci­no weni­ger als 40 Euro für den kuli­na­ri­schen Start in den Tag.

Frisch gestärkt emp­fiehlt sich der kurze Weg zur Orten­burg. Sie beher­bergt nicht nur das Sor­bi­sche Museum, son­dern ebenso das Säch­si­sche Ober­ver­wal­tungs­ge­richt. Im 11. Jahr­hun­dert gebaut, wird die Mauer von eini­gen Wach­tür­men flan­kiert. Beson­ders impo­sant ist der Burg­was­ser­turm an der West­sei­te. Von hier aus eröff­net sich ein herr­li­cher Blick ins Tal mit der Spree. Ent­lang des Rey­mann­we­ges führt der Weg durch das Mühl­tor in die gleich­na­mi­ge Gasse mit Blick auf die Michae­lis­kir­che. Der gute Bau­zu­stand lässt einen förm­lich ins Mit­tel­al­ter abtau­chen. Zwei Abbie­gun­gen nach rechts und man befin­det sich auf der Frie­dens­brü­cke. Sie bietet ein schö­nes Pan­ora­ma auf die West­flan­ke der Altstadt.

Vorbei am Korn­markt-Center – das sich im übri­gens sehr gut zum zwi­schen­zeit­li­chen Auf­wär­men eignet – geht es zurück ins Zen­trum zum Haupt­markt. Neben dem Rat­haus und der Stadt­ver­wal­tung lohnt sich ein Abste­cher in den Bautz’ner Senf­la­den. Hinter der alten Holz­tür ver­birgt sich nicht nur ein Geschäft der regio­na­len Spe­zia­li­tät, son­dern auch ein klei­nes, aber feines Museum. Der Ein­tritt ist kos­ten­los, aber alles andere als umsonst. Denn es gibt Wis­sens­wer­tes rund um die Senf­her­stel­lung und deren Geschich­te. Beim Schlen­dern durch die Rei­chen­stra­ße, vorbei an Restau­rants und Cafés, sieht man bereits den aus dem 15. Jahr­hun­dert stam­men­den Rei­chen­turm am Korn­markt. Er mar­kiert das öst­li­che Ende der Altstadt.

Von der Alt­stadt zur neue­ren Geschichte

Über die Rosen­stra­ße erreicht man flugs die Weig­ang­stra­ße und somit die Gedenk­stät­te Baut­zen II. Das Gelän­de im Bautz’ner Vil­len­vier­tel beher­bergt eine alte Haft­an­stalt, wel­ches seit 1924 in Betrieb war. Sowohl die Nazis als auch das SED-Regime nutz­ten den Sicher­heits­trakt, um Anders­den­ken­de zu inhaf­tie­ren. Aber von vorn. Bereits am Ein­gang wird deut­lich, wel­chen Stel­len­wert poli­ti­sche Gefan­ge­ne in der DDR hatten: Zwei Trans­por­ter mit klei­nen, fins­te­ren Kam­mern trei­ben nicht nur Klaustrophobiker:innen den Schweiß auf die Stirn. Ein­ge­pfercht ging es über die Pflas­ter­stra­ßen in das Gefäng­nis. Beson­ders beein­dru­ckend ist der Gang durch die Schleu­sen­to­re und die ersten Räume, in denen auch Diplo­ma­ten­be­such emp­fan­gen werden durfte. Der Ein­gangs­be­reich endet im eigent­li­chen Trakt mit vier Etagen und zahl­rei­chen Git­tern und Netzen.

Ent­spre­chend der Nut­zungs­pha­se geben die ein­zel­nen Stock­wer­ke Ein­bli­cke in das Leben und die Haft- und Lebens­be­din­gun­gen. Jede Epoche sprach und spricht für sich. Da sind zum einen spe­zi­el­le Arrest­zel­len für ver­schärf­te Haft­be­din­gun­gen zu nennen, in denen Toi­let­ten vom Haft­be­reich trenn­bar und harte Prit­schen ohne wär­men­de Decken instal­liert waren. Auch die Nah­rungs­ra­ti­on fiel gerin­ger aus. Zum ande­ren zeigen frei­ge­leg­te Back­stei­ne die Reste des erfolg­rei­chen Flucht­ver­suchs von Dieter Hötger aus seiner Arbeits­zel­le im Novem­ber 1967. Leider wurde er nach eini­gen Tagen der Flucht von der Poli­zei gefun­den und in das „Alca­traz der DDR“ zurück gebracht. Anschlie­ßend ver­brach­te er die Jahre in Iso­la­ti­ons­haft – bis 1972 die BRD ihn frei­kauf­te. Durch die Abtren­nung von ande­ren Häft­lin­gen ver­üb­te die Lei­tung zusätz­lich psy­chi­sche Folter.

Neben den offen­sicht­li­chen Metho­den die rund 200 Son­der­ge­fan­ge­nen und deren Ver­wand­te vor „staats­ge­fähr­den­den Tätig­kei­ten“ zu bewah­ren, kamen auch unsicht­ba­re tech­ni­sche Hel­fer­lein zum Ein­satz. Zahl­rei­che Räume – die unter ande­rem dem Besuch dien­ten – waren mit klei­nen Mikro­fo­nen (soge­nann­ten Wanzen) aus­ge­stat­tet. Falls es die Situa­ti­on erfor­der­te, konn­ten uner­wünsch­te Kon­tak­te und Kompliz:innen schnell ding­fest gemacht werden. Auch die Über­ga­be von Pake­ten und Geschen­ken war klar gere­gelt und nur auf ein Mini­mum redu­ziert. So erreich­te das SED-Regime, dass die Haft­an­stalt bei den DDR-Bürger:innen kaum bekannt war.

Auch heute sind Men­schen auf der Flucht

Heute ist das Gefäng­nis eine wuch­ti­ge Erin­ne­rungs­stät­te, die zum Nach­den­ken anregt. Ein Teil der Inhaf­tier­ten waren Fluchthelfer:innen aus dem dama­li­gen West­deutsch­land. Sie woll­ten eini­gen Men­schen der DDR zu einem bes­se­ren Leben ver­hel­fen. Dafür wurden sie auf unschö­ne Art und Weise fest­ge­nom­men. Und wie ist es heute? Auch 10 Jahre nach der Flücht­lings­wel­le werden Mit­ar­bei­ten­den von Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Sea-Watch und Co. Steine in den (Meeres-)Weg gelegt. Men­schen aus Syrien wird erschwert ein siche­res Leben führen zu können. Das sollte im Jahr 2023, mehr als 33 Jahre nach dem Mau­er­fall, nicht so sein. Denn wie heißt es so schön im Grund­ge­setz, Arti­kel 2: „Jeder hat das Recht auf Leben und kör­per­li­che Unversehrtheit.“


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