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Chemnitz 2025: Bunte Graffiti an grauen Tagen.

Es ist der Won­ne­mo­nat Mai und end­lich grünt die Natur wieder. Auch die dies­jäh­ri­ge Kul­tur­haupt­stadt Euro­pas Chem­nitz erstrahlt in viel­fäl­ti­gen Früh­jahrs­far­ben. Bunte Graf­fi­ti ver­wan­deln triste Häu­ser­wän­de in kleine Kunst­wer­ke. Beson­ders an grauen Tagen. Ich habe mich in der Stadt auf Moti­v­jagd begeben.

Streetart aus einem Armenviertel in die Welt

Wand­ma­le­rei­en gibt es schon Tau­sen­de von Jahren. Doch erst in den 1970ern wurde daraus Kunst. In New York began­nen Künstler:innen ihre Werke auf Häu­ser­fas­sa­den und U‑Bahn-Wag­gons zu spray­en. Aus­ge­rech­net Kinder und Jugend­li­che im maro­den Stadt­teil Spa­nish Harlem soll­ten mit ihren Male­rei­en in still­ge­leg­ten Fabri­ken und ver­na­gel­ten Gebäu­den für die Ent­wick­lung einer ganzen Kunst­sze­ne sorgen. Einer dieser Men­schen war der Grie­che „Taki 183“, der als Post­bo­te sein Kürzel auf den Wänden hin­ter­ließ. Das soge­nann­te „Wri­ting“ war geboren.

Durch einen Zei­tungs­ar­ti­kel wurden auch US-ame­ri­ka­ni­sche Kunst­schaf­fen­de auf das Thema auf­merk­sam. Sie ent­wi­ckel­ten die Krit­ze­lei­en zu Kunst weiter. Unter dem Begriff der Street­art ver­wan­del­ten sich ganze Wände in far­ben­fro­he Meis­ter­wer­ke. In den 1980er Jahren fand die Pop-Art-Kunst den Weg in Museen und Gale­rien. Die wohl bedeu­tens­ten Kunst­schaf­fen­den waren Keith Haring und Jean-Michel Bas­qui­at. Im Mit­tel­punkt der Gesell­schaft ange­kom­men, fand die sub­ur­ba­ne Graf­fi­ti-Kultur den Weg in die ver­win­kelsten Ecken der Erde. So auch nach Deutsch­land und natür­lich Chemnitz.

Detailreiche Kunstwerke zwischen Hauptbahnhof und dem Brühl

Aus­gangs­punkt für die Erkun­dung an diesem trüben Früh­lings­nach­mit­tag ist der Chem­nit­zer Haupt­bahn­hof. Unweit am Fuße des Son­nen­bergs findet sich das über­di­men­sio­na­le Kon­ter­fei des Holo­caust-Über­le­ben­den Justin Sonder. Er erblick­te am 18. Okto­ber 1925 in Chem­nitz als Kind jüdi­scher Eltern das Licht der Welt und starb am 3. Novem­ber 2020 ebenda. Als einer der weni­gen Über­le­ben­den des KZ Ausch­witz galt er als einer der wich­tigs­ten Zeit­zeu­gen der bar­ba­ri­schen NS-Dik­ta­tur. „Ich sollte über­le­ben“ steht in großen Let­tern an der Fas­sa­de in der Glo­cken­stra­ße geschrie­ben. Der Thü­rin­ger Graf­fi­ti­künst­ler Falk Leh­mann alias „AKUT hat ihm damit ein wür­di­ges Denk­mal bereitet.

Vorbei an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät und dem alten Omni­bus­bahn­hof, stellt das Kunst­werk an der Kreu­zung zwi­schen Karl-Lieb­knecht-Straße und Georg­stra­ße, am Rande des Schil­ler­platz, den nächs­ten Zwi­schen­stopp dar. In Pop-Art-Manier erge­ben runde und eckige Formen ein großes, buntes Mosaik. Unter­halb erre­gen im Kon­trast dazu detail­rei­che Mau­er­zeich­nun­gen die Auf­merk­sam­keit. Nur wenige Meter weiter errei­chen wir den Brühl-Bou­le­vard. Rund um die ehe­ma­li­ge Fla­nier­mei­le ist es an diesem Tag ruhig. Vögel zwit­schern von den Bäumen zwi­schen den Plat­ten­bau­ten. An einem lässt sich ein kun­ter­bun­tes Graf­fi­ti mit lebens­froh lachen­den Kin­dern erken­nen. Die gute Laune steckt an.

Beim Ein­tre­ten in die breite Fuß­gän­ger­zo­ne fallen aller­hand Fahr­rä­der ins Auge. Unter den mit Blüten geschmück­ten Bäumen erzeu­gen sie eigene kleine Kunst­wer­ke. An der Kreu­zung zur Eli­sen­stra­ße errei­chen wir den cha­rak­te­ris­ti­schen „ZUHAUSE“-Schriftzug. Doch nicht er lässt auf­mer­ken, son­dern die vom hier ansäs­si­gen Kunst­un­ter­neh­men „Rebel-Art“ hübsch gemal­ten Murale an den alten Fas­sa­den. Wir soll­ten noch später von den Künstler:innen sehen.

Kunstvoller Streifzug durch das Studentenviertel Bernsdorf

Orts­wech­sel. Das künst­le­risch recht unspek­ta­ku­lä­re Zen­trum der Stadt Chem­nitz haben wir durch­lau­fen. Ziel ist das junge Stu­den­ten­vier­tel Berns­dorf. Das Quar­tier errei­chen wir über die Reit­bahn­stra­ße, die durch ihre klei­nen Geschäf­te bekannt ist. Graf­fi­ti der zahl­rei­chen Wohn­ge­nos­sen­schaf­ten und Ver­mie­ter sollen zum Wohnen ani­mie­ren. Denn Chem­nitz besitzt mit einem Leer­stand von 8 Pro­zent einen der höchs­ten in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Die Graf­fi­ti ver­schö­nern also nicht nur die tris­ten Plat­ten­bau­fas­sa­den, son­dern sollen auch poten­ti­el­le Mieter anziehen.

Ebenso wie wenige Meter weiter der neu gestal­te­te Süd­bahn­hof. Die bru­ta­lis­tisch anmu­ten­den Beton­wän­de der neuen Eisen­bahn­brü­cke zeigen detail­liert eine Col­la­ge der Chem­nit­zer Sky­line. Im Zen­trum steht der Uhren­turm des Wirk­bau-Kom­plex, das sich nur wenige Meter ent­fernt befin­det. Die dunkel gehal­te­nen Farben strah­len eine beson­de­re Ruhe aus. Urhe­ber des Kunst­werks ist Guido Günter von „Rebel-Art“.

Nur wenige Minu­ten die Berns­dor­fer Straße stadt­aus­wärts ent­lang errei­chen wir den neu gestal­te­ten Rosen­platz. Zwi­schen Bäumen han­gelt sich ein oran­ge­far­be­ner Orang-Utan an einer Haus­fas­sa­de der Chem­nit­zer Woh­nungs­ge­nos­sen­schaft CAWG ent­lang. Sie hat auch auf der gegen­über­lie­gen­den Seite ein etwas zurück­ge­setz­tes Gebäu­de mit einem his­to­risch anmu­ten­dem Kunst­werk versehen.

Den Abschluss des klei­nen Stadt-Spa­zier­gangs bilden an diesem Vor­abend die Wand­ge­stal­tun­gen an den Wohn­hei­men des Stu­den­ten­werks Chem­nitz-Zwi­ckau. Sie brin­gen den stu­den­ti­schen (Wohn-)Alltag näher und erstre­cken sich über die großen Seiten der Plat­ten­bau­ten. In Zusam­men­spiel mit den far­bi­gen Fas­sa­den erge­ben sich anzie­hen­de Ansich­ten, die sich mit dem Auge minu­ten­lang erkun­den lassen. So ver­geht die Zeit wie im Flug und schnel­ler als gedacht neigt sich der Tag und damit dieser schril­le Streif­zug dem Ende.


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