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Fabelhafter Freizeitstress im Chemnitzer Kulturhauptstadt-Kosmos.

Es ist Halb­zeit im Chem­nit­zer Kul­tur­haupt­stadt­jahr. Als eines der Höhe­punk­te fand das zivil­ge­sell­schaft­li­che Kosmos-Fes­ti­val im Zen­trum der Stadt ganze drei Tage statt. Mit­mach­ak­tio­nen, Dis­kus­sio­nen, sport­li­che und natür­lich auch musi­ka­li­sche High­lights luden zum Feiern und Betei­li­gen ein. Ins­ge­samt 115.000 Men­schen nahmen die Ein­la­dung an. Ein Streif­zug durch den viel­fäl­ti­gen Chem­nit­zer Kosmos 2025.

Glamouröser Auftakt mit Blond, der Robert-Schumann-Philharmonie und Gästen

Bereits zur Eröff­nung am Frei­tag zeigt die viel­fäl­ti­ge Chem­nit­zer Kul­tur­sze­ne was sie zu bieten hat: Die lokale For­ma­ti­on Blond um die Kummer-Schwes­tern Nina und Lotta sowie Bas­sist Johann Bonitz treten gemein­sam mit der renom­mier­ten Robert-Schu­mann-Phil­har­mo­nie auf. Der Thea­ter­platz ist bereits eine Stunde vor dem kos­ten­lo­sen Kon­zert, dessen Tickets inner­halb zwei Stun­den ver­grif­fen waren, gut gefüllt. Auf der Bühne lassen sich die aus­ge­fal­len ver­träum­ten Uten­si­li­en wie Kunst­pflan­zen und ‑tieren der Pop-Band bestau­nen. Mit etwa 15 Minu­ten Ver­spä­tung betre­ten die Instru­men­ta­lis­ten gemein­sam mit einem klei­nen Chor die Bühne. Epi­sche Orches­ter-Klänge erschal­len als die drei Chemnitzer:innen ihre Plätze auf dem Podium einnehmen.

Die Stim­mung bei den 4.500 Zuhö­ren­den ist phä­no­me­nal. Auch des­halb, weil die musi­ka­li­sche Ener­gie, die von der Bühne aus­strahlt, beim Publi­kum ankommt. Songs wie “16 Jahr, blon­des Haar” oder „wie du” aus dem aktu­el­len Album “Ich träum doch nur von Liebe” sorgen für Jubel­stür­me. Beson­ders bewun­derns­wert sind die Fähig­kei­ten des von Geburt an blin­den Johann Bonitz, der immer wieder im Fokus der Ansa­gen steht. Zwi­schen­durch tau­chen mit der loka­len Band Power Plush und der Leip­zi­ger Rap­pe­rin Yung FSK18 über­ra­schen­de Gäste auf. Höhe­punkt ist der gemein­sa­me Auf­tritt mit der als Sven-Schul­ze-Cover­band ange­kün­dig­ten Gruppe Kraft­klub um die Brüder Felix und Till Kummer. Ihr neuer Song “Schief in jedem Chor” löst beim mit­grö­len­den Publi­kum helle Begeis­te­rung aus. Spä­tes­tens jetzt fallen die Planen der Sperr­zäu­ne den dut­zen­den Neu­gie­ri­gen zum Opfer.

Schade, dass der Robert-Schu­mann-Phil­har­mo­nie nicht die Bedeu­tung zuge­spro­chen wird, die sie ver­dient hätte. An diesem Abend kann es seine Qua­li­tät nur pha­sen­wei­se aus­spie­len. Die Arran­ge­ments sind nur schwach an die klas­si­schen Instru­men­te adap­tiert. Zudem geht das Orches­ter in den lauten elek­tro­ni­schen Klän­gen der E- und Bass-Gitar­re sowie dem Schlag­zeug unter. Das ändert sich auch nicht bei der letz­ten Gast-Rap­pe­rin Nura. Sie setzt mit dem Song “Fair” ein Zei­chen gegen Frauen- und Frem­den­feind­lich­keit. Nach etwas mehr als 70 Minu­ten erklingt mit “Girl Boss” der letzte Song. Im Mosh­pit tanzen so einige hem­mungs­los in das Kosmos-Wochen­en­de hinein.

Gemeinsam zusammentrommeln zum Kosmos 2025

Das Chem­nit­zer Kosmos ist mehr als ein Musik­fes­ti­val. Es lebt von der Betei­li­gung der Bürger:innen. Wie etwa beim Kunst­pro­jekt „Inside Out“ am Karl-Marx-Monu­ment. Bereits zur Mit­tags­zeit schmü­cken zahl­lo­se Gesich­ter des berühm­te Denk­mal im Zen­trum der Stadt. Die Magie geschieht nur wenige Meter ent­fernt in einem unschein­ba­ren Trans­por­ter. Wäre da nicht die lange Schlan­ge, die ihn verrät. Frei­wil­li­ge lassen sich in einer Foto­box ablich­ten. In Echt­zeit gehen die ange­fer­tig­ten Por­träts in den A0-Druck. Per umwelt­freund­li­chem Kleis­ter landen die Abzüge anschlie­ßend auf den warmen Stein­plat­ten. Wie ein Mosaik ent­steht Stück für Stück ein impo­san­tes Bild.

So rich­tig auf­ge­weckt geht es dann bei der Trom­mel-Instal­la­ti­on „Bea­ting the Drum“ des Kul­tur­haupt­stadt-Pro­jek­tes Geleb­te Nach­bar­schaft zu. Punkt 12 Uhr stehen dafür am Ende der Brü­cken­stra­ße etwa 180 Trom­meln bereit. Gene­ra­ti­ons­über­grei­fend stür­men die Inter­es­sier­ten an das Schlag­werk. Pas­sen­de Sticks werden ver­teilt. Zu rhyth­mi­scher Musik kann jede:r für eine Stunde das eigene Rhyth­mus­ge­fühl unter Beweis stel­len. Ein großer, gemein­sa­mer Spaß! Den gibt es in ruhi­ger Form auch beim Format „Sti­cken statt Stän­kern“ an der kühlen Oase am Brun­nen. In Win­des­ei­le ver­sam­meln sich Dut­zen­de an den Bier­bän­ken und die jung­fräu­li­che Tisch­de­cke füllt sich in Win­des­ei­le mit far­ben­fro­hen Orna­men­ten. Man kommt ins Gespräch. Wieso kann es nicht immer so har­mo­nisch sein?

Wie­der­um etwas sport­li­cher geht es beim gemein­sa­men Zumba auf dem Schloss­berg zu. Unter pro­fes­sio­nel­ler Anlei­tung brin­gen Jung und Alt ihren Bewe­gungs­ap­pa­rat so rich­tig in Schwung. Bei 25 Grad Cel­si­us kommt schnell jede:r ins Schwit­zen. Und doch sind die roten Gesich­ter mit einem brei­ten Lachen ver­se­hen. Akkli­ma­ti­sie­ren lässt es sich herr­lich im Schat­ten der Laub­bäu­me auf der Schloss­teich­in­sel. Dort lädt der ame­ri­ka­ni­sche Künst­ler San­ford Win­ters­ber­ger im Rahmen des Kul­tur­haupt­stadt-Pro­jek­tes “C Unfolds” zur zwang­lo­sen Karao­ke­par­ty ein. Wer es rasan­ter mag, kommt nur wenige Hun­dert Meter weiter auf seine Kosten.

Sportliche Höchstleistungen bei sommerlichen Temperaturen

Die sport­li­che Band­brei­te Chem­nitz’ lässt sich etwa beim Bas­ket­ball auf den neuen, nach FIBA-Regu­la­ri­en gebau­ten Plät­zen im Kon­kor­dia­park bestau­nen. Beim 3x3 messen sich regio­na­le Teams gegen­ein­an­der. Mit vorn dabei sind die Junio­ren der Niners. Nicht weni­ger beein­dru­ckend ist an diesem Tag das Roll­stuhl-Bas­ket­ball­tur­nier, das von seiner beson­de­ren Dyna­mik lebt. Im Kon­trast dazu balan­cie­ren zwi­schen Ermafa-Pas­sa­ge und Klet­ter­hal­le Mit­glie­der des Slack­li­ne-Team Kon­nek­tonau­ten e.V. In rund 10 Meter Höhe befin­det sich eine der drei Slack­li­nes, die sich über das Fes­ti­val-Gelän­de erstre­cken. Es zeigt sich einmal mehr wie schwie­rig es ist, bei Ablen­kung das Gleich­ge­wicht zu behalten.

Kon­zen­triert gehen auch die Mit­glie­der des Tanz­stu­dio Room Hip Hop Spot zu Werke. Sie zeigen auf der Berg­stra­ße im „Kosmos Jam“ ihr Können im moder­nen Break­dance. Span­nen­de Tanz-Batt­les lassen die Zuschau­en­den mit­fie­bern. Und auch die Kleins­ten kommen in einem Crash­kurs auf ihre Kosten. Etwas rhyth­mi­scher geht es beim Sal­sa­ton auf der Schloss­teich­stra­ße zu. Aus­ge­tra­gen vom Noqan­chis-Zusam­men­ste­hen e.V. und Amistad e.V. duel­lie­ren sich dort ein­zel­ne Paare im Salsa-Tanz. Eine Jury bewer­tet die Tanz-Fähig­kei­ten und ent­schei­det über den Ver­bleib im Wett­be­werb. Den Zuschau­en­den gefällt’s. Sie quit­tie­ren die ener­gie­ge­la­de­nen Ein­la­gen mit Applaus.

Vielfältige Diskussionsformate regen zum Nachdenken an

Wäh­rend die einen sich kör­per­lich ertüch­ti­gen, for­dern die ande­ren dank der zahl­rei­chen Dis­kus­si­ons­for­ma­te ihre grauen Zellen heraus. Denn eine wei­te­re wich­ti­ge Säule des Kosmos Chem­nitz sind die viel­sei­ti­gen gesell­schafts­po­li­ti­schen Talk­run­den. Etwa über die Lehren des Han­dels wäh­rend der Corona-Pan­de­mie, bei der sich die neu gewähl­te Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Nora Seitz mit Pro­fes­sor Dr. Jochen Mayerl und der Lan­des­schü­ler­rä­tin Jose­phi­ne Pfei­fer über die Fehler und zukünf­ti­gen Kon­se­quen­zen austauschen.

Oder aber die Talk­run­de zum Thema „Stolz deutsch zu sein? Was bedeu­tet das?“. In dem gut besuch­ten Panel dis­ku­tie­ren die Jour­na­lis­tin Oyin­da­mo­la Alashe und Fil­me­ma­che­rin Anika Bal­ur­an Schä­fer mit TU-Chem­nitz-Poli­to­lo­ge Prof. Dr. Stefan Garsz­tecki über Wege, Patrio­tis­mus mit Ein­gren­zung statt Aus­gren­zung zu leben. Denn viele frei­heit­li­che Werte, auf die wir stolz sind, teilen auch ver­meint­li­che ‚Nicht­deut­sche‘. Ober­fläch­lich­kei­ten soll­ten bei der Defi­ni­ti­on des Begrif­fes keine Rolle spielen.

Um simple Aus­sa­gen geht es auch bei der Dis­kus­si­on mit dem langen Titel „Sehn­sucht nach Ein­fach­heit vs. Kom­ple­xi­tät, Krisen und Glo­ba­li­sie­rung“. Darin erör­tern Kata­pult-Chef­re­dak­teur Ben­ja­min Fred­rich, You­Tuber Alex­an­der Prinz (Der dunkle Para­bel­rit­ter) und Felix Schulz, Refe­rent von Lin­ken­po­li­ti­ke­rin Heidi Rei­chin­nek, die Bedeu­tung von Popu­lis­mus in der Bericht­erstat­tung. Die Ver­ein­fa­chung hilft laut Schulz dem Ver­ständ­nis von kom­ple­xen Themen. Denn nicht jeder hat die zeit­li­chen Res­sour­cen sich mit jeder Ange­le­gen­heit tief­grei­fend zu beschäf­ti­gen. Und Emo­ti­on erreicht die Men­schen besser als Ration. Das bewei­se auch die Popu­la­ri­tät der Social-Media-Accounts der Linken, die im Wahl­kampf die der AFD in Reich­wei­te und Fol­lo­wer­zahl über­holt hätte.

Fred­rich betont den Kos­ten­druck von Online­me­di­en, die Themen auch aus markt­wirt­schaft­li­cher Sicht betrach­ten müss­ten. Titel müss­ten das Inter­es­se wecken, dürf­ten aber nicht allzu viel vom Thema preis­ge­ben. Prinz ist der Mei­nung, dass Medien und Par­tei­en jedoch mit Fakten glän­zen soll­ten und weni­ger mit emo­tio­na­len Pos­tings. Die sorg­ten zwar für Reich­wei­te, pola­ri­sier­ten aller­dings unnö­ti­ger­wei­se. Ferner ver­schlim­mer­ten sie die gesell­schaft­li­chen Gräben.

Raue Rap-Klänge bei PA69, Nura und Disarstar

Genau diese Gräben werden auf der Bühne auf der Hun­de­wie­se deut­lich. Mit PA69 star­tet eine Rap-Combo aus Berlin in den Abend. Die drei rosa Mas­kier­ten DJ Dope, Rabat­to und Tur­bo­gi­an­ni feiern ener­gie­ge­la­den und posi­tio­nie­ren sich ent­schie­den gegen Rechts­extre­mis­mus. Der Text des Songs „Kom­plett Blau“ erhält aus dem vor­wie­gend jungen Publi­kum ein laut­star­kes Echo: „Ey, wir sind kom­plett blau, können nicht mehr das ABC. Doch eins weiß ich genau, Digga, fick die AfD“. Schade, dass der Alko­ho­lis­mus wäh­rend des Songs „Bier­tor­na­do“ auch durch auf der Bühne trin­ken­de Fans zele­briert wird. Dabei wäre das kaum nötig, denn die Stim­mung kocht.

Der größte Andrang an diesem Abend herrscht bei der aus Kuwait stam­men­den Rap­pe­rin Nura. Sie posi­tio­niert sich nicht nur gegen Ras­sis­mus, son­dern auch gegen Frau­en­ge­walt. Das kommt bei der Crowd ebenso gut an wie die Songs aus ihrem ehe­ma­li­gen Duo-Pro­jekt SXTN, in dem sie neben Juju auf der Bühne stand. Erin­ne­run­gen an das Kos­mo­naut-Fes­ti­val am Stau­see Raben­stein werden wach. Trotz der Abküh­lung die Nura durch eine Was­ser­pis­to­le in das Publi­kum schickt, muss der Auf­tritt vor dem letz­ten Song unter­bro­chen werden. Dem Kreis­lauf eini­ger Fans macht die Sonne und die mitt­ler­wei­le knapp 30 Grad Cel­si­us Außen­tem­pe­ra­tur zu schaffen.

Als Dis­ar­star 22.30 Uhr die Bühne betritt, ist die Stim­mung des Publi­kums auf dem Höhe­punkt. Bereits wäh­rend der ersten Songs erleuch­ten ben­ga­li­sche Feuer den Park. Eine Pal­es­ti­na-Flagge wird geschwenkt. Dane­ben wird ein kryp­ti­sches Pro­test­tuch hoch gehal­ten. Foto­gra­fie­ren­de im Büh­nen­gra­ben sind wäh­rend­des­sen vom Künst­ler nicht gewünscht. Für mich hin­ter­lässt das einen faden Bei­geschmack. Zumal poli­ti­sche Gegner, die das demo­kra­ti­sche Fes­ti­val ver­hin­dern wollen, jedes Haar in der Suppe suchen. Und bei ihm finden.

Sommerlicher Feel-Good-Sound von Kaffkiez und Juli

Deut­lich mas­sen­taug­li­cher ist die Musik an diesem Tag auf der großen Kosmos-Bühne unweit des Flus­ses Chem­nitz. Lange geheim gehal­ten, betre­ten betre­ten die fünf Jungs der Rosen­hei­mer Band Kaff­kiez 30 Stun­den nach der offi­zi­el­len Ankün­di­gung das Podium. Die rau­chi­ge Stimme von Front­mann Johan­nes Eisner setzt nicht nur die weib­li­chen Fans in Ver­zü­ckung. Schnel­le, tanz­ba­re Rhyth­men und melo­diö­se Gitar­ren­riffs in Songs wie „Alles Nur Gelo­gen“ oder „Mitte 20“ sorgen für eine aus­ge­zeich­ne­te Par­ty­stim­mung. Mit Texten über Herz­schmerz, Rebel­li­on und natür­lich die große Liebe trifft die Band den Geist des jungen Publi­kums. Natür­lich darf auch die neue Single „Vor­hang auf“ des neuen Albums „WIR“ nicht fehlen.

Ohne neue Musik, dafür aber mit dop­pelt so langer Büh­nen­er­fah­rung betritt zum Son­nen­un­ter­gang die Band Juli die Bühne. Seit 2001 tourt die Combo um Front­frau Eva Brie­gel durch Deutsch­land. Songs wie „Geile Zeit“ oder „Per­fek­te Welle“ aus den Anfän­gen der Band prägen noch heute die Radio­land­schaft. Sie dürfen natür­lich auch auf dem Kosmos nicht fehlen. So wie damals auf meinem Moto­ro­la-Handy als poly­pho­ner Klin­gel­ton. Aber auch aktu­el­le, melo­di­sche Songs wie „Insel“, „Fette Wilde Jahre“ oder „Fahr­rad“ setzen das Publi­kum in Ver­zü­ckung. Tat­säch­lich für mich ein echtes High­light im Kulturhauptstadt-Kosmos.

Mit wum­mern­der und auch wei­cher Club-Musik neigt sich der Tag rund um den Schloss­teich dem Ende ent­ge­gen. Das Par­ty­volk ist immer noch bester Stim­mung. Allen voran bei den Lokalmatador:innen Lok­füh­rer Andi und Maik Spar­was­ser findet der Kosmos-Tag einen gebüh­ren­den Abschluss. Ein beson­de­res Demo­kra­tie-Fes­ti­val, das einmal mehr die vielen ver­schie­de­nen Chem­nit­zer Gesich­ter zeigte. Und das ist in diesen rauen Zeiten wich­ti­ger denn je.


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