In so ziemlich jeder größeren Stadt laden moderne Hop-On Hop-Off Busse zu mehr oder weniger kurzweiligen Stadtrundfahrten ein. Nicht so in der hessischen Metropole Frankfurt: Dort verkehrt am Wochenende mit dem „Ebbelwei-Expreß“ eine alte, bunt bemalte Straßenbahn und lädt zum Entdecken ein. Einige Eindrücke einer urigen Fahrt durch die opulenten Häuserschluchten von “Mainhattan”.
Zwischen Westend und Ostend in einem fahrenden Kunstwerk
Der Himmel ist grau und wolkenverhangen, als die alte Straßenbahn auf dem Börneplatz einbiegt. Auf dem knallroten Lack der über 70 Jahre alten Baureihe K prangen Motive des Künstler:innen-Paars Charly und Estine Estenfelder: Vorn künden zwei große, blaue Bembel vom namensgebenden, typisch hessischen Getränk Apfelwein und dem besonderen Charakter als fahrende Kneipe. Farbenfrohe Illustrationen der Frankfurter Sehenswürdigkeiten geben einen Ausblick auf die Gebäude, die mich und die anderen Mitfahrenden auf dem Rundkurs erwarten.
Während berühmte Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe oder das Stadtoriginal Frau Rauscher bereits grafisch an Bord sind, steigen wir mit einem breiten Grinsen in den vorderen Waggon. Denn für den Ticketpreis von 8 Euro pro Person erhalten wir nicht nur eine Packung Salzstangen zum Knabbern, sondern auch eine Flasche sauer gespritzen Apfelwein. Wir nehmen auf einem der 28 Sitzgelegenheiten Platz. Beim Blick in den liebevoll gestaltete Innenraum komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus: Kleine Vorhänge und farbige Glühlampen sorgen für eine wohnliche Atmosphäre. Der Himmel ist bunt bemalt. Aus den Lautsprechern tönen stimmungsvolle Schlager von früher, teilweise auch in hessischer Sprache. Toll!
Langsam setzt sich der Verbund in Bewegung. An diesem Nachmittag sind die Straßen der Innenstadt gut gefüllt. Nur mühsam bahnt sich die alte Dame ihren Weg vorbei am Römerberg und der Paulskirche zum Willy-Brandt-Platz samt der riesigen „Euro-Skulptur“ von Ottmar Hörl. Hier steigen besonders viele Tourist:innen zu. Doch schon nach wenigen Augenblicken geht’s weiter. Die bunte Tram passiert den Frankfurter Hauptbahnhof. Dabei behält sie ihr Zwischenziel – die Festhalle unweit der Messe sowie den „Hammering Man“ des US-Künstlers Jonathan Borofski – immer im Auge. Von der Wendestelle im Westend führt der Weg, vorbei am Platz der Republik, zurück ins historische Zentrum der Stadt. Durch das berühmt berüchtigte Bahnhofsviertel bimmelt und quietscht sich die Straßenbahn und passiert das Bankenviertel bis zum Zoo.
Historische Straßenbahnromantik in einer pulsierenden Metropole
An der Endhaltestelle, dem Zoo der Stadt, erlaubt eine zehnminütige Pause das Besichtigen der Frankfurter Straßenbahn aus den Nachkriegsjahren. In der Düsseldorfer Waggonfabrik AG (DUEWAG) wurden damals kriegszerstörte Fahrgestelle aus den F- und G‑Modellen genutzt und neue Bahnen aufgebaut. Die Ausstattung war und ist auch weiterhin spartanisch, fiel die Produktion doch in die Zeit von Finanz- und Materialknappheit. Dafür ist die Technik überaus robust: Zwei Gleichstrommotoren leisten zusammen in der Spitze 120 Kilowatt. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 55 Kilometer pro Stunde.
Der offene Führerstand ist die Kommandozentrale des 16,5 Tonnen schweren Triebwagens. Unverwüstliche, manuelle Schalter und Hebel bestimmen das Bild. Mein erster Blick fällt auf das große Fahrschalterrad auf der linken Seite, über das der Anfahrstrom des Elektromotors mithilfe elektrischer Widerstände reguliert wird. Auf der rechten Seite ermöglicht ein Hebel das Betätigen der Druckluftbremse. Schalter für Klingel, Beleuchtung, Türsteuerung und Fahrtrichtungsumschaltung runden das spartanische, aber funktionale Cockpit ab. Was braucht man mehr, um Menschen adäquat von A nach B zu befördern? Nach der kurzen Verschnaufpause setzt sich das Gespann wieder in Bewegung Richtung Börneplatz. Quietschend erreicht die historische Tram die Haltestelle. Und damit findet eine kurzweilige Stunde mit dem „Ebbelwei-Expreß“ ihr Ende. Babbisch gut!
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